Disclaimer: I work in Google's Policy Team, developing multistakeholder cooperations for internet governance & policy themes, hence I want to point out that all the opinions and ruminations on this blog are mine, not Google's.


Thursday, November 10, 2011

Speakers’ Tube - Meine Rede auf dem ersten Speakers' Corner in Berlin


Ich bin 33 Jahre alt. Als ich aufwuchs, informierte ich mich über die guten alten Medien: Buch, Fernsehen, Radio, Zeitung. Mein 9 Wochen alter Sohn wird mit einem ganz anderen Bezug zu Medien und Partizipation aufwachsen. Erlauben Sie mir mit ein paar Worten zu analysieren, was sich in den letzten 33 Jahren verändert hat.  

Ich fühlte mich dabei meistens ganz gut informiert. Doch schon damals fragte ich mich, wo denn eigentlich all jene Menschen Gehör finden, deren Themen nicht für die sogenannten “Massenmedien” tauglich sind. Und was war mit Ländern, die nicht über die breite, freie Medienlandschaft verfügten wie Deutschland sie zum Glück heute besitzt? Wie mochten sich wohl dort die Menschen informieren?

Die einzige Chance, seine Stimme zu Gehör zu bringen, lag für viele Jahrhunderte buchstäblich auf der Straße: in Demonstrationen, Versammlungen oder eben auf der berühmten “Speakers’ Corner” in London, wo immerhin schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Kraft der freien Rede zelebriert wird.

Es ist aber ohne Frage das Internet, dass die Möglichkeiten frei zu reden, Position zu beziehen, sich zu informieren und demokratischen Protest zu organisieren tiefgreifend revolutioniert hat. Grenzen überschreiten, Konventionen missachten, Debatten über alles zu führen - von Filmen bis zur Monarchie. Online war alles möglich. Im Internet entstand ein neuer globaler “Speakers’ Corner”, ein Forum der freien Rede, auf Twitter, Facebook und YouTube und (in Bälde auch unter jedem Pseudonym ihrer Wahl) auf Google+.

Über zwei Milliarden Menschen sind heute im Internet aktiv, und jeder kann seine Meinungen, Träume, Positionen und Forderungen veröffentlichen, die wiederum von allen anderen gefunden und beantwortet werden können. Diese Demokratisierung der Medialen- der Meinungs-Produktionsmittel bedeutet im Allgemeinen eine größere Auswahl und im Endeffekt mehr Macht für den Einzelnen. Erinnern Sie sich an die Bilder aus Ägypten? Leider ist es für viele Regierungen und Institutionen unbequem, die Kontrolle zu verlieren. Dies bedeutet, dass das kommende Jahr möglicherweise von einer zunehmenden Einschränkung der Freiheiten im Internet geprägt sein wird.

Staaten schränken das freiheitlich demokratische Potential des Internets ein. Doch nicht nur Staaten stehen der Rede- und Meinungsfreiheit immer wieder im Wege. Beispiel Mexiko: Im brutalen Drogenkrieg des Landes verzichten die klassischen Medien inzwischen zumeist auf Berichterstattung, die Journalisten fürchten um ihr Leben. Aktuellen Berichten zufolge sind Blogger und Aktivisten aus sozialen Netzwerken als letzte mediale Kraft übrig geblieben, die noch über das Treiben der Drogenbarone informieren. Auch hier beweist die sozio-technologische Infrastruktur des Netzes und die Netizens eine beeindruckende Kraft, die sogar über die der klassischen Medien hinauszureichen scheint.

1989, im Jahr, in dem die Mauer fiel, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Doch auch damals gab es mutige Menschen, die für die Freiheit aufgestanden sind und gesprochen haben. Engagiert und offen.

Wir wollen hier und heute eine Brücke bauen zwischen der klassischen Kraft der freien Rede, der Speakers Corner, und jener neuen Kraft, dem Internet und seinen technischen Möglichkeiten Dialoge global, in echtzeit und (ver)öffentlicht zu führen.

Denn wer heute spricht, spricht nicht “nur” zu den Menschen, die gerade hier am Brandenburger Tor dabei sind. Ihre Stimme kann weltweit gehört werden. Wir werden Sie unmittelbar im Anschluss über den YouTube Kanal “GoogleFreeExpression” ausstrahlen.
Selbstverständlich holen wir dazu von jedem Redner und jeder Rednerin die Erlaubnis ein!

Hier und heute treffen sich also die analoge Speakers Corner und ihr digitales Pendant in Gestalt von YouTube. Nennen Sie es meinetwegen “Your Corner” oder “Speakers’ Tube” - der Name ist nicht wichtig. Lassen Sie uns diesen Tag zu einer Feier der Meinungsfreiheit machen. Fassen Sie Mut. Kommen Sie auf die Bühne und bringen Sie die Kraft Ihrer eigenen freien Rede zur Entfaltung. Vielen Dank!

Wednesday, November 09, 2011

„Dienste der Zukunft für die Gesellschaft von heute. Wie Vertrauen schaffen?“ (Mein Paneldiskussionsbeitrag beim Jahreskongress GeoBusiness & D21 im BMWi)


Letzten Mittwoch am 3. November 2011 war ich im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zusammen mit Thilo Weichert (Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins) und Olaf Keitzel (CSC) auf einem Panel um zum Thema "Dienste der Zukunft für die Gesellschaft von heute. Wie Vertrauen schaffen?" zu diskutieren. Hier einige Argumente, die ich für die Diskussion vorbereitet hatte:

Kernfrage beim Thema Einführung innovativer Dienste ist das Spannungsfeld zwischen “Innovation without permission” und Schutz der User vor böswilligen Übergriffen.

Konstruktive Kritik aus Deutschlang ist wertvoll und “Privacy made in Germany” könnte sich als ein entscheidender Marktvorteil entwickeln. Allerdings hat man manchmal den Eindruck, dass es eher dystopische Verschwörungstheorien, vielleicht auch ein übertriebenes Geltungsbewußtsein und machmal auch strategische Polemik und Spiel mit den Ängsten von Wählern sind, die den Diskurs beeinflussen.   

Wir brauchen mehr angewandte transdisziplinäre Forschung, um die emergenten Phänomene, die durch Internetdienste und -Nutzung entstehen, besser zu verstehen und unser individuelles sowie das Handeln unserer gesellschaftlichen Institutionen darauf einzustellen. Z.B. das acatech Projekt “Eine Kultur der Privatsphäre und des Vertrauens im Internet”, das vom BMWF gefördert wird und Experten von IBM, der Deutschen Post und Google mit Wissenschaftlern aus den verschiedensten Fachrichtungen zusammenbringt, birgt das potential nicht nur zu verstehen, was Unsicherheit hervorruft, sondern auch welche Funktionen und Erklärungen Vertrauen schaffen.

Das sozio-technische online Ökosystem kann als Komplex Adaptives System verstanden werden. Diesem Ansatz folgend, sollten Politik, Judikative und Exekutive in Kooperation mit den Betreibern und den Nutzern daran arbeiten, ein “dynamische Gleichgewicht” zwischen Vertrauen und Kontrolle zu gestalten. Dabei sind die traditionellen relativ starren Regelungen (Gesetze und Regulierung) ein recht unpassendes Mittel. Besser geeignet scheinen sog. Multistakeholder Governance Ansätze, bei denen alle Akteure einen kontinuierlichen Steuerungsprozess verantwortlich begleiten. 

Erlaubt mir in diesem Kontext auf ein sehr gehaltvolles Paper meines Kollegen Rick Whitt hinzuweisen. Er analysiert und konstruiert Ansätze und Rahmenbedingungen für die Gestaltung von vernünftigen Internet Policies auf Basis einer komplexitätswissenschaftlichen Weltanschauung. Jedem, der ernsthaft an netzpolitischen Fragen interessiert ist, sei diese 108 Seiten starke Arbeit "Adaptive Policymaking: Evolving and Applying Emergent Solutions for U.S. Communications Policy" ans Herz gelegt.     

Organisationen wie z.B. die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) oder auf internationalem Level die Global Network Initiative - in der sich Microsoft, Yahoo, Google zusammen mit NGOs wie Human Rights Watch und wissenschaftlichen Institutionen wie Harvard’s Berkman Center gemeinsam für die Einhaltung von Datenschutz und Meinungsfreiheitsrechten im Internet einsetzen - haben die besten Chancen, die Praktiken vernünftig zu überprüfen und ein gemeinsames Vorgehen der Akteure abzustimmen. Es wäre zu wünschen, dass die Politik häufiger auf solche Lösungen setzt.

Ein Denkanstoß, der in unserer letzten Co:Lab Initiative entwickelt wurde finde ich in diesem Kontext auch spannend: Die “Beta-Phase” bei Diensteinführungen sollte standardisiert und offiziell anerkannt werden. Traditionell werden Internetdienste zunächst als “Beta” - als Testversion - gestartet. Diese Herangehensweise scheint sehr geeignet, um einerseits neophilen Nutzern Innovationen früh anzubieten und sie mit Hilfe der User zu verbessern und reif für den "Massenmarkt" zu machen. Andererseits signalisiert das Beta eher konservativen Nutzern, dass der betreffende Dienst nicht final ausgereift ist und ggf. noch technische und usability Mängel (z.B. bei der Datenverarbeitung) hat.